Ein persönlicher Einstieg

Als Kind und als Erwachsene waren die Eltern meiner Mama meine „Lieblingsgroßeltern“. Sie begegneten uns Enkelkindern mit sehr viel Liebe. Bei ihnen fühlten wir uns wohl, weil wir so angenommen wurden, wie wir sind. Sie waren humorvoll, liebten das Leben und waren in all ihrem Tun bescheiden. Sie lehrten uns, die Dinge zu nehmen, wie sie sind und damit umzugehen.

Als meine Oma an Krebs erkrankte und sie wochenlang im Krankenhaus im Koma lag, war uns allen klar, dass es auch sein kann, dass sie nicht mehr aufwacht. Mal ging es ihr besser, mal wieder schlechter. Am Vormittag des 24. Dezembers 2000 entschied sich meine Oma zu Sterben.

Ich sage bewusst, dass sie sich entschieden hat, auch wenn sie im Koma lag. Ich möchte nämlich gerne glauben, dass sie es war, die sagte, ich entscheide mich für das Licht, den Himmel, das Universum, wohin auch immer die Toten gehen, wenn sie gestorben sind. Ich persönlich glaube an eine Art Paradies und ich hoffe sehr, dass wenn es bei mir so weit ist, meine Großeltern mich dort empfangen.

Meine Großeltern waren zu diesem Zeitpunkt, als meine Oma starb, 51 Jahre verheiratet. Sie hatten im November 1949 geheiratet und sind ein halbes Jahrhundert zusammengeblieben. Mit allen Höhen und Tiefen, die eine Ehe bereit hält. Im übrigen sind sie auch hier ein großes Vorbild für mich.

Meinen Opa traf ihr Tod hart. Doch wie es leider in dieser Generation war, über Emotionen, wie groß der Schmerz auch ist, wurde nicht viel geredet. Ich hätte ihm gerne in dieser schweren Zeit beigestanden, doch ich hatte ein Ticket nach Südafrika. Ich wollte meinen Vater nach Weihnachten besuchen. Hätte ich eine Reiserücktrittsversicherung gehabt, hätte ich die Reise verschoben. So musste ich mich von meinem Opa verabschieden und flog zwei Tage später zu meinem Vater. Alle Trauervorbereitungen fanden ohne mich statt. Da meine Eltern sich entschieden mit der Urnenbeisetzung zu warten bis ich wieder da war, konnte ich wenigstens dieser beiwohnen.

Obwohl wir meinen Opa viel besuchten, war er und die Wohnung nicht mehr der- bzw. dasselbe. Sie fehlte. Es war als ob die Wärme, die diese Wohnung immer hatte, mit ausgezogen wäre.

Ca. sechs Jahre später folgte ihr mein Opa. Er starb an einem Herzinfarkt. Seine Trauer um seine Frau verarbeitete er bei stundenlangen Spaziergängen im Wald. Es war seine Art damit umzugehen und mit ihr Zwiesprache zu halten, aber auch der Wohnung zu entkommen.

Als er starb traf es mich hart. In den Wochen zuvor, als klar war, dass meine Eltern ihn direkt vom Krankenhaus in ein Altenheim bringen werden, ging ich allein in die Wohnung. Zuvor kaufte ich Kuchen, Kaffee, Sekt und eine Tageszeitung. Mit diesen Sachen und meiner Kamera ging ich dann in die Wohnung und verabschiedete mich von ihr und dem Leben in ihr. In Ruhe. Am Esstisch meiner Großeltern. Auf dem Platz an dem meine Oma sonst saß. Ich aß den Kuchen, trank Kaffee und erinnerte mich mit dem Sekt an all die wunderbaren Feiern, Essen und Treffen an diesem Tisch. Mit dem Foto ging ich von Zimmer zu Zimmer und fotografierte jedes Detail, dass mir wichtig war. Ich nahm Abschied.

Zwei Wochen später starb mein Opa im Altersheim an einem Herzinfarkt. Sein Tod traf mich mit voller Wucht. In den nächsten Wochen trauerte ich nicht nur um meinen Opa, sondern auch um meine Oma. Meine Trauer damals hatte ich gut verschlossen. Mit dem Tod meines Opas brach sie durch. Ich vergoss viele Tränen. Konnte in kein Krankenhaus mehr gehen. Wurde melancholisch. Nah an der Depression. Damals holte ich mir professionelle Hilfe.

Mein Therapeut ließ mir meine Trauer. Es ging ihm nicht um loslassen, sondern für meine Trauer und meine geliebten Großeltern einen sicheren Ort in mir zu finden, an denen ich mit ihnen weiterhin in Beziehung bin. Damals wusste ich noch nichts von diesem Ansatz, den Roland Kachler geprägt hat.

Ja, ich bin noch immer traurig, wenn ich an meine Großeltern denke. Und während ich diese Zeilen schrieb, flossen viele Tränen. Auch wenn ihr Tod schon sehr lange her ist. Bei der Oma über 24 Jahre, beim Opa 18 Jahre. Es gibt aber auch Zeiten, da stehen sie neben mir. Meist wenn ich im Garten in meinen Gemüsebeeten bin, mich über das Wachstum freue und ihnen unbedingt zeigen möchte, was hier alles wächst. Dann kann ich sie spüren, wie sie sich mit mir freuen.

In meiner systemischen Arbeit

Es ist nicht gerade üblich mit eigenen Erfahrungen einzusteigen. Doch es erklärt, warum mir in der Trauerbegleitung, die Beziehungsarbeit zu dem/der Verstorbenen wichtig ist und ich damit dem Ansatz Roland Kachlers folge.